Restauration von Holzrennbooten:

Die Stradivari der Gewässer

Leidenschaft – Tempo – Tradition. Holzspäne fliegen, ein Hobel zischt, in der Luft liegt der Geruch von Leim und Holzlack – das kleine Team aus Bootsbauern der Firma Stämpfli Racing Boats in Zürich Wollishofen haucht einem Rennruderboot aus Holz neues Leben ein. Mittendrin: Ein ehemaliger Welt- und Europameister im Rudern.

Kenner vergleichen ein Stämpfli Holzboot gerne mit einer der berühmten italienischen Geigen. Es ist ein Werkstück mit Herkunft und Geschichte, das einen Ruderer durch das ganze Leben begleiten kann – und sogar sein Klang auf dem Wasser ist ein besonderer. Tatsächlich absorbieren Holzboote den Ton, wodurch der Ruderer eine besondere Ruhe auf dem Wasser geniessen kann. Anders als die berühmte Stradivari baut die Stämpfli-Werft ihre Ruderboote aus Holz noch heute –von Hand, im fast gleichen Verfahren wie vor hundert Jahren. Das Kunsthandwerk des Holzbootbaus ist so nirgends auf der Welt ein zweites Mal zu finden. Die filigranen Rumpf-Verstrebungen eines Stämpfli sind durch seine durchsichtige Persenning sichtbar. Ein klassisches Stämpfli-Boot aus dünnem Zedernholz ist auch ein Anblick für Ästheten.
Aus alt wird neu
Immer mal wieder findet so ein Exemplar der „Stradivari der Gewässer“ den Weg zurück in die Werkstatt am Zürichsee. Melchior Bürgin erzählt: „Vor allem Ruderer, die das Holzhandwerk und die Ästhetik zu schätzen wissen, lassen ihre Boote wieder richten – Liebhaber.“ Oftmals sei eben „viel Herzblut dabei, bei der Entscheidung, ob ein Holzboot renoviert wird oder ausgemustert werden soll“. Viele von ihnen hegen und pflegen ihr Boot über die Jahre selbst. Nur wenn es handfeste Schäden gibt – durch die Kollision mit Treibholz oder den Zusammenstoss mit einem anderen Ruderboot etwa – bringen sie ihr Boot an seinen Entstehungsort, die Werft in Wollishofen zurück. Manch ein Verein mustert solche Boote irgendwann aus, um Platz für die modernen Kunststoffboote zu schaffen. Für Bürgin eine wenig nachhaltige Denkweise, denn „Kunststoffboote werden oft nach wenigen Jahren ausgetauscht, Holzboote können bis zu 30 – 40 Jahre im Dienst stehen“. An diesem Punkt hört man ebenso viel Erfahrung wie Leidenschaft heraus. „Holzboote wirken anfälliger auf Reparaturen. Doch jahrzehntelang konnte man damit umgehen und die Reparaturen unter Kontrolle halten. Jedoch ist mit den Fitnessruderern der Rudersport stark angewachsen, man erlernt schnell die Technik aber zu wenig den Umgang mit den Booten.“ Er meint, vorsichtig müsse man eben mit all den Booten umgehen, ob Holz oder Kunststoff. Stämpfli begegnet der Wegwerfkultur und sammelt die alten Boote. „Viele davon verschenken wir an Clubs, die sich keine neuen Boote leisten können. Einige Juwelen beziehungsweise Zeitzeugen restaurieren wir auch“, sagt Bürgin und erklärt weiter: „Die Boote, die nicht mehr erhalten werden können oder auch nach mehreren Jahren nicht von uns weggehen, diese finden manchmal als schönes Möbel, zum Beispiel als Tisch, Bücherregal oder auch als Sideboard, einen Platz bei jemandem zuhause oder in einem Büro.“ Da habe die Fantasie keine Grenzen, sagt er schmunzelnd.
40
Jahre lang können Holzboote im Dienst stehen

Restauration von Holzrennbooten
Das Skiff „Espresso“ wurde beim Zusammenstoss mit einem anderen Boot schwer beschädigt und sollte ausgemustert werden. Stämpfli stellte das letzte Holzboot, das eine Medaille an einer WM gewann, wieder her.
Ein Boot als Zeitzeuge
Eines der Boote, die Stämpfli selbst „rettete“, ist das Skiff Espresso. Nach dem Zusammenstoss mit einem anderen Boot, bei dem der Bug von Espresso zerstört wurde, wollte der Ruderverein ihn nicht wiederherstellen lassen. Für die Männer bei Stämpfli stand die Renovation aber ausser Frage, schliesslich handelt es sich um das Boot, da 1995 als letztes Stämpfli Holzboot eine Medaille an eine Weltmeisterschaft gewinnen konnte. Die Bootsbauer der Stämpfli Werft sind überzeugt: „Was alt ist, muss noch lange nicht weggeworfen werden. Aus alt wird hier neu.“ Doch leider ginge eben mit der Wegwerfmentalität auch der Sinn fürs Kunsthandwerk verloren. Restauriert würden immerhin „schöne Dinge Erhaltenswertes“.
Was alt ist, muss noch lange nicht weggeworfen werden. Aus alt wird hier neu.
– Melchior Bürgin
Erfahrung ist gefragt
Hier und da helfen auch beim Handwerk des Holzbootbaus modernere Techniken, etwas zu restaurieren oder zu überholen. Die Klebstoffe seien beispielsweise kräftiger und stärker geworden. Dennoch sei die Arbeit sehr oft unverändert zu früher. Positiv sieht Bürgin, dass wieder viele junge Leute die Herausforderung suchten, mit Holz zu arbeiten. Die jungen Leute wissen aber auch, dass sie hier mehr lernen als den Umgang mit Holz. Melchior Bürgin ist eine lebende Legende im Schweizer Rudersport und selbst ehemaliger Ruderwelt- und Europameister. Er weiss, wovon er spricht, wenn er über das Gefühl des Dahingleitens beim Rudern philosophiert. Vor nicht langer Zeit erschienen seine Memoiren, die viele Jahre des Spitzenrudersports ausleuchten. Sie beinhalten ausserdem unzählige Anekdoten rund um Boote und Flotten, die Stämpfli einst an internationale Regatten in alle Welt geflogen und verschifft hat. Auch wenn Bürgin die Geschäfte inzwischen abgegeben hat an einen Jüngeren, seinen ehemaligen Lehrling Daniel Zlinszky, ist er selbst noch immer wo nötig und möglich mit an Bord.

Langlebig und schnell

Auch bei Rennruderbooten sollte die Form primär der Funktion folgen – es soll vor allem eins sein: schnell. Auf die Frage, ob es denn noch Entwicklungspotential bei den Rennbooten gebe, holt Bürgin denn auch aus und erklärt das Verhältnis zwischen Form- und Reibungswiderstand beim Ruderboot (8 % versus 90 %). Die Form sei demnach zu vernachlässigen, weshalb sich die Entwicklung „eher auf Beschläge, Ausleger, Ruder, Stemmbrett konzentriert hat“, mit dem Ziel der einfacheren Kraftübertragung, sowie Langlebigkeit des Materials und einer einfacheren Handhabung. Das Bootsgewicht (momentane untere Limite im Einer: 14 Kilogramm) könne durch neue Materialien weiter gesenkt werden bei gleicher Festigkeit. Für Ruderer, die nicht darauf angewiesen sind, auch noch die letzte Zehntelsekunde aus ihrem Material herauszuholen, sind Holzboote also nach wie vor eine ästhetische und nachhaltige Alternative. Für Stämpfli bleiben sie ohnehin eine Herzensangelegenheit.

Melchior Bürgin, der ehemalige Welt- und Europameister im Rudern, ist noch immer mit an Bord – auch wenn mit Daniel Zlinszky inzwischen sein ehemaliger Lehrling die Werkstatt leitet.
Bildquellen: Simone Kalt, Zürich; Stämpfli Racing Boats AG, Zürich
iNFO
Der Riss der Stämpfli-Boote hat Tradition, es ist noch heute der berühmte schnelle Stämpfli Riss, der die Werft von Alfred Stämpfli bis in die 1980er-Jahre zu einer der grössten und erfolgreichsten der Branche machte. Vielfach kämpften Teams in Stämpfli-Booten an Weltmeisterschaften oder bei Olympia um den Sieg. Viele Entwicklungsschritte und Innovationen im Ruderbootsbau stammen von Stämpfli. In den 80ern kamen dann die leichteren und schneller produzierbaren Kunsstoffboote auf den Markt – Komposit-Konstruktionen aus Wabenmaterial und Carbon. Auch Stämpfli begann damals, Kunststoff-Leichtbau Boote zu produzieren – in Rot-Weiss. Der Riss, also die für Stabilität und Bootslauf so wichtige Querschnittsform der Boote, entsprach und entspricht zum Teil jenem der Holzboote. Trotzdem oder deshalb gehören die Holzboote heute zu einer aussterbenden Art. An Wettkämpfen sieht man sie praktisch nicht mehr.